Hilfe, eine Green Flag!

In den letzten drei Jahren habe ich einige Männer gedatet. Mehr, als hier nieder geschrieben. Alle waren Red Flags, welche ich früher oder später dann auch mal erkannt habe. Sie waren oft nicht einmal gut versteckt, ich wollte sie nicht sehen – für mich werden sie sich ändern. Hust.

Nun ist da also Tom. Bisher habe ich an ihm nicht eine Red Flag gefunden. Natürlich könnte man sagen, ich will sie nicht finden. Aber das entspricht nicht der Realität. Ich bin zu wachsam aus Angst, in drei Monaten wieder mit gebrochenem Herzen zurück zu bleiben. Es hat von vornherein schon fast gruselig perfekt gematcht, weshalb ich vielleicht noch mehr Ängste habe. Das Zusammensein mit ihm ist einfach das, was für mich eine perfekte Beziehung ausmacht: Respektvoller Umgang auf Augenhöhe, fantastischer Sex mit den selben Vorlieben, klare Kommunikation, viele Körperlichkeiten (außerhalb des Sexuellen) und viele gleiche Moralvorstellungen und Charakterzüge.
Und genau da ist das Problem: es scheint perfekt, es „kann“ nicht perfekt sein. Jedenfalls, wenn es nach meinem Kopf geht.

Ich habe Probleme damit es richtig zu genießen. Immer wieder warte ich auf den Moment, an dem sich das Blatt wendet. Zur Zeit ist er krank. Er kommuniziert also „ich kann nicht krank machen, der Betrieb muss laufen. Tagsüber habe ich nur Stress, abends bin ich einfach fertig, genieße meine Ruhe und versuche mich zu erholen“. Jede:r würde jetzt sagen „super dass du das so offen kommunizierst, ich weiß jetzt Bescheid. Melde dich einfach wie es dir passt. Ich bin für dich da“. Was aber bei mir ankommt „ich möchte keine Zeit für dich haben“. Es ist total dämlich und das weiß ich selber, aber diese drei Jahre voller Idioten haben mich scheinbar mehr geprägt, als ich mir eingestehen möchte.

Tom gibt mir mit keinem Wort oder einer bestimmten Handlung das Gefühl, dass ich zweifeln sollte. Diese Nacht lag ich lange wach und habe darüber nachgedacht, warum ich einfach nicht aus diesem Alarmmodus herauskomme. Ich habe unseren ganzen Chat-Verlauf von Nachricht eins auf Tinder bis zu unserer letzten WhatsApp gestern Nacht noch einmal gelesen. Es gibt nicht eine Nachricht, in der man zwischen den Zeilen etwas interpretieren könnte, mit Ausnahme der Mails, die zweideutig flirty sind. Er weiß, dass ich ein totaler Overthinker bin und versucht mir mit seiner Nachricht direkt auch die Gedanken zu nehmen (Beispiel: Ich bin krank und will Ruhe aber zwischen uns alles gut). Dies hilft mir ungemein.

Obwohl uns nur rund 80km trennen, ist es auch eine Form von Fernbeziehung. Man kann nicht mal kurz beim Anderen vorbei, weil man gerade in der Nähe war und ihn einfach in den Arm nehmen. Natürlich ist es stöhnen auf hohem Niveau, manche Paare werden durch ganze Weltmeere getrennt. Und doch ist es das, was mir am Schwersten fällt: dass wir uns nicht kurz sehen können, berühren, den 6 Sekunden Kuss austauschen oder die 22 Sekunden Umarmung ausführen können. Diese Zeitfenster sind wissenschaftlich bewiesen dafür zuständig, dass wir unter anderen Serotin und Oxytocin (= Bindungshormon) in unserem Körper ausschütten. Ja, durch WhatsApp ist die Welt kleiner geworden und wir können uns darüber sehen, hören oder Fotos schicken. Aber es ist einfach nicht das selbe wie in den Arm genommen zu werden, einen Kuss auf die Stirn zu bekommen und dazu vielleicht noch nette Worte zu hören. Ich fühle mich ihm sehr verbunden, aber trotzdem Zweifel ich an seinen Gefühlen. Nicht, weil er irgendwas gesagt oder getan hat. Einfach aufgrund meiner Vergangenheit. Das ist Tom gegenüber überhaupt nicht fair und ich verabscheue mich selber dafür. Ich bin mir sehr sicher, dass er das Gespräch suchen würde, wenn sich seine Gefühle in irgendeiner Weise ins Negative geändert hätten. Er kommuniziert sehr klar und transparent. Daran muss ich mich erst einmal gewöhnen, dass ein Mann (=kein Kumpel) das macht und meint, was er sagt. Dass ich nicht irgendwas tun muss, damit er mich mag oder 100 Nachrichten schicken muss, damit er eine beantwortet. Ändern kann nur ich meine Zweifel, er kann mir ein wenig helfen.

Obwohl ich gar nicht darauf stehe und in kürzester Zeit genervt von so etwas bin, würde ich manchmal einfach gerne hören, dass er froh ist mich zu haben oder Ähnliches. Ja er zeigt es mir durch die Blume – aber irgendwie bin ich gerade dieser Typ, der ist mit der Zaunlatte braucht. Wir waren uns unserer Anziehung und Gefühlen schon sehr früh bewusst und haben uns nicht wenige Komplimente gemacht. Völlig normal, dass man das in einer Beziehung nicht ständig so macht. Klar gibt man sich Komplimente zum Aussehen oder Ähnlichem aber halt einfach nicht in dieser Intensität. Die ersten zwei Tage, in denen wir nur geschrieben haben, haben wir uns (überspitzt) alle 30 Sekunden sagt, dass wir uns lieb haben. Jetzt ist es wie eine Sucht, es zu hören.

Umso mehr ich schreibe, umso offensichtlicher wird mir eigentlich, dass viele meiner Probleme nur ich und etwas Zeit lösen kann. Tom tut sein bestmögliches, aber er weiß natürlich gar nix von meinem Struggle – den behalte ich natürlich für mich, er soll ja nicht denken, dass ich eine Klette bin oder ihm nicht traue.
Ich vertraue ihm voll, vermisse ihn schrecklich und blicke hoffnungsvoll in unsere Zukunft. Und doch habe ich Angst – nicht davor, wie es sein wird, sondern ob es sein wird. Ich möchte all die ersten Male mit ihm erleben und zeitgleich alle diese ersten Male überspringen und sehen, wo wir in zwei Jahren stehen oder auch sechs Monaten oder drei Wochen.

Oh Jenny, wie kann ein Mensch so kompliziert sein? An dieser Stelle auch ein nettes Fick dich all die Männer, die mich hier hin gebracht haben. Für die Gefühle nur existierten, wenn ich ihrer Meinung war oder wenn sie mich ins Bett kriegen wollten. Und auch ein nettes Fick dich an meine Selbstzweifel.
Tom hat mich seine Traumfrau genannt. Was soll hier schiefgehen? In 50 Jahren werden wir beim Quickie in der Küche vom Altersheim erwischt und unser Kind muss zum Rapport antreten. Aber nur, wenn es kein Bayern Fan wird: in dem Fall haben wir bereits beschlossen, dass die Babyklappe die einzige Lösung ist.
Ich muss und will genießen, was wir haben. Ich habe das erste Mal in meinem Leben etwas zum Valentinstag bestellt, weil ich so Schmetterlinge im Bauch hab. Außerdem hat er keine andere Wahl als bei mir zu bleiben, er hat gesagt, ich soll ihn behalten, wenn ich ihn mag und nie wieder hergeben. Worüber denke ich nach? Ich mag ihn sehr und er hat keine Wahl mehr, er muss bleiben.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert