Im Herbst 2024 kam der Trend auf. Wenn du dich auf einer Dating Plattform mehr als zehn Nachrichten lang gut mit jemandem verstanden hast, warst du seine Seelenverwandte. Jetzt, im Januar 2025 habe ich übrigens sieben Seelenverwandte irgendwo.

Ich weiß, das klingt jetzt sehr abschätzig und ich glaube eigentlich an Seelenverwandte, genau wie an bedingungslose, zufriedenstellende Liebe. Was ich aber nicht glaube: Das wir in Tagen oder Wochen wissen, wenn wir diese Person getroffen haben. Gerade am Anfang von Kennenlernenphasen/ Beziehungen geben wir uns von unserer besten Seite. Am Anfang hängt der Himmel voller rosa Geigen. Das ist schön und auch nötig, damit wir uns an Personen binden. Würden wir rational abwägen, ob wir mit den Macken des anderen genauso leben können wie mit seinen guten Seiten, seinen Hobbys, seinem eventuellen vorherigen Leben und so weiter gäbe es deutlich weniger Pärchen.

Häufig lassen wir uns von den ersten schönen Momenten sehr blenden. Die ungewohnte Nähe, die Kuscheleinheiten etc. sind aufregend und neu. Wir entdecken den Anderen von innen (Charakter) als auch von außen jeden Tag aufs Neue. Diese Entdeckungsreise ist spannend und das gemeinsame Träumen schüttet in uns eine Menge Hormone aus. Doch was bleibt, wenn die erste Schwärmerei weg ist und auch einmal Probleme auftreten? Erst hier zeigt sich, ob wir uns wirklich auf den anderen einlassen wollen. Es ist keine Kunst, Sex zu haben oder anderen Komplimente zu machen. Die Kunst ist es auch ein schlechten Zeiten und mit schlechten Marotten ein schönes Kunstwerk zu erschaffen.

Nichts anderes ist eine Beziehung – ein Kunstwerk, was von seinen Partnern lebt. Je nachdem, wie man sein Kunstwerk gestaltet, kann es in den hellsten Farben leuchten oder von Dunkelheit geprägt sein. Würde man ein ein Bild von links nach rechts malen, wie sich auch die Zeit auf einem Zeitstrahl bewegt, würde es mit sehr hellen Farben anfangen, über das erste Jahr hinweg etwas dunkler werden, bis wir irgendwann die Farben klar definieren können: an dieser Stelle sehen wir klar, unsere rosarote Brille hat sich in Realismus verwandelt. Erst an dieser Stelle beginnt das Kunstwerk individuell zu werden. Erst hier erkennen wir, wer wirklich unser Seelenverwandter ist – oder auch nicht.

Seien wir ehrlich: es ist doch viel erfrischender für eine Beziehung, wenn nicht immer beide Partner die selbe Ansicht, Hobbys etc. teilen. Nur so hat jeder die Möglichkeit, auch für sich alleine zu wachsen. Wer nur zusammen wächst, bleibt auf der Strecke. Das Kunstwerk wird eintönig.

Eine meiner Freundinnen ist definitiv meine Seelenverwandte, weil sie grundsätzlich dasselbe denkt wie ich. In einer Freundschaft finde ich das toll, man hasst die gleichen Personen und kann dem anderen auch grobe Fehler anvertrauen, ohne dass die Freundschaft gleich infrage gestellt wird. Man betrügt sich nicht, man weiß, dass die andere Person auch noch andere Freunde hat. Freundschaft ist schonungslos ehrlich, was viele Beziehungen leider nicht mehr sind. Oder wann hast du deinem Partner das letzte Mal gesagt, was du dir wünscht oder was dich stört, obwohl das Thema möglicherweise sehr unangenehm ist?


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